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MWalid Nakschbandi

 

„Denkanstöße“

 

 © kps

 

BERLIN-SEITE

Dienstag, 19. September 2000

 

Weltmeister der Augenwischerei

 

PLATZ DER REPUBLIK

 

Wie die Ausländer die deutsche Gesellschaft verändern – eine Polemik nach der Diskussion um rechte Gewalt

 

Deutschland ist ein schnelles Land. Deutschland ist ein zupackendes Land. Vor allem, wenn es um Ausländer geht. Ausländer sind den Deutschen ein Herzensanliegen, besonders, wenn sie nicht dem deutschen Schönheitsideal entsprechen. In diesem Sommer hat die Welt staunend die zupackende Herzlichkeit der Deutschen verfolgt. Es gab, wie man weiß, wieder viele Anschläge auf Ausländer – vorwiegend im deutschen Osten. Auf Menschen, die irgendwie anders aussehen, anders sind. Die Neonazis machten in nicht vermuteter und brutaler Weise mobil und brachten der rot-grünen Bundesregierung, in der so viele Gutmenschen und Ausländerfreunde sitzen, eine Menge Ärger und Aufregung – und Gelegenheit, ein äußerstes Maß an Betroffenheit zur Schau zu stellen. Und wer sich da aus der Politik, Wirtschaft, Kirche, Verwaltung, Justiz und Showbusiness zum deutschen Urthema Rechtsradikalismus geäußert hat, etwas forderte, ins Leben rief oder gründete! Wahrscheinlich hat es hier zu Lande nie so viele Vereins- und Initiativengründungen gegeben wie im halbherzig-lauen Sommer des Jahres 2000, der jetzt zu Ende geht.

 

Rekordverdächtig in diesem Olympiajahr ist auch die Zahl der Veranstaltungen, Rockkonzerte, Diskussionen, Appelle und Reden gegen Rechts. Mit den dunkleren Tagen kommen sicher auch noch die Lichterketten, denn dann sieht man sie besser – auch im Ausland. Es wurde über ein NPD-Verbot schlagzeilenträchtig nachgedacht; geschäftige Staatssekretäre trafen sich in Berlin, palaverten und forderten. Die bedeutungsvolle Debatte gipfelte in der Feststellung, dass der niedersächsische Verfassungsschutz die besten Materialien gegen NPD und andere rechtsradikale Organisationen besitzt. Der Weltstaatsmann Gerhard Schröder und auch Bundespräsident Johannes Rau mischten sich ausdrucksvoll ein; Franz Müntefering, dem SPD- Generalsekretär, kam schließlich die erlösende, zukunftsweisende Idee im Kampf gegen Rechtsradikale: Führerscheinentzug. Ein verdammt guter Beitrag der pubertären Republik zum Drama mit den Rechtsradikalen.

 

Fragwürdig, dumm und lächerlich-gefährlich ist es, was Ihr von Euch gebt, wenn Menschen geschlagen, erniedrigt und ermordet werden. Ihr seid Weltmeister der Augenwischerei und des Vertuschens und könnt auf jede Melodie „Nie wieder“ singen. Doch in Euren Herzen und in den Köpfen ist offensichtlich das „Immer wieder“ und „Immer mehr“ eingebrannt. Lange, eine Ewigkeit lang, haben wir gedacht, Euer hilfloser Versuch, die Desavouierung und Demütigung Menschen anderer Herkunft mit einem Betriebsunfall gleichzusetzen, sei zutreffend und klug. Wir haben geglaubt, Betriebsunfälle seien Ausnahmen und vor allem reparabel. Maschinen können nun mal auch in deutschen Fabriken versagen, dachten wir. Nun aber ist gewiss, dass Ihr als Menschen versagt habt.

 

Es ist Zeit, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Schaut Euch ins Gesicht! Findet endlich – 55 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg – heraus, wer Ihr seid und warum Ihr so seid. Bekennt Euch zu Euren Neonazis, zu Euren Rechtsradikalen. Und kommt uns nicht noch einmal damit, das Problem Rechtsradikalismus sei auch ein Phänomen der Franzosen, der Engländer oder der Schweden. Sagt uns nicht, dass es Nazis, Neonazis, Faschisten und Rechtsradikale schließlich überall gibt. Hört auf damit, uns vorzumachen, dass Deutschland die meisten Ausländer aufgenommen hat und eines der tolerantesten Länder dieser Gotteserde sei. Merkt Ihr nicht, dass Ihr Euch widersprecht, wenn Ihr dieses Toleranzzeugnis ablegt?

 

Wir kennen Euren inneren Zustand. Dafür haben wir einen Blick und die nötige Sensibilität. Und da wir Euch kennen, werden wir uns auf Euch nicht mehr verlassen. Wir gehen unseren Weg und der ist schmerzlich und voller Dornen, aber am Ende erfolgreich. Ihr könnt uns herabsetzen, beleidigen, demütigen oder verletzen, aber Ihr werdet uns nicht los. Ihr habt nur die Chance, mit uns zu leben. Ein Leben ohne uns wird es für Euch nicht mehr geben. Die Ibrahims, Stefanos, Marios, Laylas und Sorayas sind deutsche Realität. Ihr werdet es nicht verhindern können, dass bald ein türkischstämmiger Richter über Euch das Urteil fällt, ein pakistanischer Arzt Eure Krankheiten heilt, ein Tamile im Parlament Eure Gesetze mit verabschiedet und ein Bulgare der Bill Gates Eurer New Economy wird. Nicht Ihr werdet die Gesellschaft internationalisieren, modernisieren und humanisieren, sondern wir werden es tun – für Euch. Ihr seid bei diesem leidvollen Prozess lediglich Zaungäste, lästige Gaffer. Wir werden die deutsche Gesellschaft in Ost und West verändern.

 

Wir Ausländer.

 

Und was macht Ihr? Ihr organisiert Rockkonzerte gegen Rechts, die Staatssekretäre fahren in ihrer sinnlosen Beratung fort, die Minister zeigen wieder ihre tiefe Betroffenheit und die kahlköpfigen Neonazis dreschen weiter auf Andersartige, Andersdenkende und Andersaussehende ein.

M. Walid Nakschbandi

 

 

Der Autor ist Geschäftsführer der Fernsehproduktionsfirma AVE. Er ist deutscher Staatsbürger afghanischer Herkunft.

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